Horas! heißt Willkommen

Ev. Kirchenkreis An der Agger - LESERSERVICE
Foto: Famile Reißland aus Dieringhausen.
Es gibt Menschen, die sich im Alter von siebzig Jahren aufs „Altenteil“ zurückziehen, auf die Malediven fahren oder sich noch einmal einen Motorroller kaufen als verspätete Erfüllung eines Jugendtraums.. Martin-Ulrich Reißland (70) und seine Frau (65) wagten ein besonderes Leben am anderen Ende der Welt. Hier ist Jutta Reißlands Bericht aus Indonesien.

Die Huria Kristen Batak Protestan (HKBP) ist die größte evangelische Kirche in Asien und hauptsächlich auf der Insel Sumatra /Indonesien zu finden. Sie gehört zu den Partnerkirchen der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) in Wuppertal (frühere Rheinische Missionsgesellschaft). Im Rheinland gibt es etliche Kirchenkreise, die eine langjährige Partnerschaft zur HKBP pflegen. Dazu gehört mit 23 Jahren auch der Kirchenkreis „An der Agger“ (im Oberbergischen Kreis rund um Gummersbach). Hier wohnen wir normalerweise. Wir, das sind Prof. Dr.-Ing. Martin-Ulrich Reißland und seine Frau Jutta. Seit dem 7. Februar 2007, Ulis 70. Geburtstag, leben wir in Medan, der Hauptstadt von Nordsumatra. Ich bin seit vielen Jahren die Partnerschaftsbeauftragte des Kirchenkreises „An der Agger“, und wir haben schon an mehreren Begegnungen zwischen den Kirchen teilgenommen.
Im Sommer 2005 waren wir als Ehepaar zum zweiten Mal in Medan und besuchten auch die kircheneigene Universität „Universitas HKBP Nommensen“. Der Rektor erläuterte die schwierige finanzielle Situation, die es nicht ermöglichte, gute Professoren aus dem Ausland „einzukaufen“, um so die Reputation der Hochschule zu verbessern. Mein Mann bot an, als pensionierter Professor für Elektrotechnik unentgeltlich für ein oder zwei Semester dort zu unterrichten, wenn die Hochschule den Flug bezahlen und eine Unterkunft zur Verfügung stellen würde. Da ich selbst Englisch- und Religionslehrerin war, war es nahe liegend, das Team für Englische Sprache zu unterstützen. Nun sind wir seit Februar hier und unterrichten.
Wir hätten nicht so schnell ein solches Unternehmen gewagt, wenn wir nicht schon von 1981-85 in Tansania (Ostafrika) die Tropen kennen gelernt hätten. Wir wussten schon, wie man sich vor Sonnenbrand schützt, wie man mit Wassermangel und Stromausfällen umgeht und wie man mit geringen Mitteln möglichst effektiv und qualifiziert Wissen weitergibt, das in der heutigen Zeit und der immer mehr zusammenwachsenden Welt gebraucht wird, wenn man konkurrenzfähig sein will. Zu unserer Arbeit selbst nur so viel: Sie macht Spaß, auch wenn es keine Lehrbücher gibt, die Kopien selbst erstellt und bezahlt werden müssen und das Niveau der Studenten nicht mit dem deutscher Studenten zu vergleichen ist. Das liegt auch an dem anderen Schulsystem. Die Studenten des Faches Englisch z.B. haben meistens erst mit vierzehn Jahren oder später mit dem Sprachunterricht begonnen. Wir mussten also unsere Anforderungen anpassen.
Was vermutlich für unsere Leser viel interessanter ist, ist das „wahre Leben“ im Alltag. Es ist hier auf Sumatra durchzogen von dem tiefen Glauben der Bataks, der ihr gesamtes Leben prägt. Hier wird niemals ein vorformuliertes Gebet gesprochen, sondern morgens, mittags, abends, bei Vorlesungsbeginn und –ende, zu jeder Sitzung ein aus dem Herzen kommendes Gebet gesprochen, in dem von den beteiligten Menschen bis hin zum Staatspräsidenten alle wichtigen Personen einbezogen werden und das selten unter fünf Minuten lang ist. Hier hat niemand Scheu vor dem Beten, wie man es in Deutschland oft bemerken kann. Es ist auch ganz unproblematisch und selbstverständlich, in einem muslimischen Restaurant laut und lange vor Tisch (und danach) zu beten. Bei einer Begegnung vor zwei Jahren betete einer unserer deutschen Pastoren vor Tisch das bekannte „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne uns und was du uns bescheret hast. Amen“. Nach der Verblüffung über dieses sehr kurze Gebet sagte ein indonesischer Teilnehmer der Runde: „Oh, das war das Gebet eines sehr hungrigen Mannes.“
Die starke Frömmigkeit verdanken die Bataks ihrem „Apostel“, Pastor Ludwig Ingwer Nommensen, der von 1834 bis 1918 lebte und im Batakland die Frohe Botschaft verbreitete. Bis heute sind die Menschen dankbar, dass er den Kannibalismus beendet und die Liebe Jesu zu allen Menschen gelehrt hat. Das Grab dieses großen Missionars ist ein Pilgerort, und jeder Batak möchte wenigstens einmal im Leben am „Salib Kasih“ stehen, dem „Kreuz der Liebe“, das über dem Silindungtal als Erinnerung an Nommensen errichtet wurde.
Neben unserer Unterrichtstätigkeit bin ich auch als Partnerschaftsbeauftragte im ständigen Einsatz. Schon von Deutschland aus habe ich eine Einrichtung der Bibelfrauen finanziell unterstützt, indem ich mit meinem Leierkasten zu Gemeindefesten und Altenfeiern aufgespielt und fröhliche Nachmittage gestaltet habe. Das Honorar ging immer an „meine“ Bibelfrauen in Eben-Ezer, die mich dafür hingebungsvoll verehren. Bibelvrou entspricht etwa den Gemeindehelferinnen in Deutschland. Sie sind für Frauen-, Kinder und Altenarbeit zuständig, haben Gottesdienste zu halten und sollen auch predigen. In „Eben-Ezer“ bei Pematang Siantar, einer größeren Provinzstadt , gibt es ein Feierabendheim für pensionierte Bibelfrauen.
In den Monaten unseres Hierseins war ich auch damit beschäftigt, junge Leute auszusuchen, die als „Botschafter“ der Bataks nach Deutschland eingeladen werden sollten, um in unserem Kirchenkreis mit jungen Leuten aus dem evangelischen Kirchenkreis Teschen in Südost-Polen zusammenzutreffen, zu dem wir auch eine Partnerschaft unterhalten. Der Termin war bewusst um den Deutschen Evangelischen Kirchentag herum gelegt worden, damit die jungen Menschen im Jugend-Camp mit vielen anderen Jugendlichen zusammenkommen und sich austauschen konnten. Wir bereiteten sie hier in unserem Haus gründlich vor: Es gab jedes Mal deutsches Essen (wobei sich der Schokoladenpudding durch nichts vom ersten Platz vertreiben ließ). Wir erläuterten, dass man Reis und Fisch in Deutschland nie mit den Fingern isst oder wie man ein Badezimmer und WC benutzt, ohne daß hinterher alles unter Wasser steht… Wir mußten auch erklären, daß deutsche Pfarrer schon mal in Jeans anzutreffen sind und trotzdem gute Hirten ihrer Gemeinden sein können. Hier geht man noch im feinsten Sonntagszwirn in die Kirche, und ein Pastor in Jeans wäre einfach unvorstellbar.
In den unterrichtsfreien Zeiten, wie Feiertagen oder prüfungsfreien Wochen, versuchen wir viel von Land und Leuten zu sehen. Wir waren über Ostern an der Westküste Sumatras in Sibolga, zu Christi Himmelfahrt im Hochland von Dairi (unserem zweiten Partner-Kirchenkreis) und in der vorlesungsfreien Woche auf der Insel Nias, wo uns ein befreundeter Architekt seine erdbebensicheren Siedlungen zeigte, die dort mit Hilfe unserer Mission (VEM) errichtet werden. Die Menschen in den Erbeben- und Tsunami-Gebieten sind von einem bewundernswerten Mut und mit dem Willen zum immerwährenden Neuanfang ausgestattet, wobei ihnen ihr unerschütterliches Gottvertrauen hilft. Es ist übrigens interessant zu sehen, dass die alten Holzhäuser allen Stürmen und Beben trotzen, während es häufig neue Betonhäuser sind, die zerstört werden. Übrigens ist es ermutigend, überall die weißen Hilfsfahrzeuge für den Wiederaufbau zu sehen, auf denen das Rote Kreuz und der Rote Halbmond gemeinsam ihre Logos haben und damit signalisieren „Wir kämpfen nicht gegeneinander, sondern helfen den Menschen in Not gemeinsam.“ Ein sehr ermutigendes Zeichen, das zur Nachahmung empfohlen werden kann!
Einer unserer Kollegen hat in seinem Heimatort südlich des Tobasees eine Hebammen-Akademie errichtet, um die Ausbildungskosten für die Landbevölkerung zu verringern und die jungen Frauen zu ermutigen dort zu bleiben, wo man sie kennt und ihnen vertraut und wo sie dringend gebraucht werden. Seine gesamte Familie unterstützt das Projekt. Es ist natürlich eine christliche Akademie, in der aber auch muslimische Frauen willkommen sind.
Eine größere Hebammen-Akademie haben wir hier in Medan besucht, die auch der Kirche gehört, aber immerhin zwanzig Prozent muslimische Schülerinnen hat. Für sie werden zur Kirchzeit Andachten in ihrer Religion angeboten. Es funktioniert, weil man sich hier gegenseitig Achtung entgegenbringt. In beiden Schulen hielten wir Vorlesungen zum Thema „Distinguished Midwife Profession“ (Bemerkenswerter (oder ausgezeichneter) Hebammen-Beruf / Jutta) und „Individuell Responsibility in Professional Life“ (Individuelle Verantwortung im Berufsleben /Uli).
In unserer Universität fand ein Englisch-Wettbewerb für alle Oberschulen Nordsumatras statt. Auch hier beteiligten sich muslimische Oberschulen, und es war selbstverständlich, dass die Siegerinnen mit Kopftuch genau denselben Applaus bekamen wie die anderen Gewinner.
Bis Ende des Jahres werden wir hier bleiben. Man darf uns danach gern einladen, wenn man an unserem exotischen Leben in der Fremde interessiert ist.

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